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Es läuft verkehrt!

Lena Frank, 12.05.2019

Die Umverteilung ist in vollem Gange. Allerdings läuft sie verkehrt: Anstatt Armutsbetroffenen Perspektiven zu geben, wird ihnen die Lebensgrundlage gekürzt. In der ganzen Schweiz laufen immer wieder Angriffe gegen Armutsbetroffene. Die Argumentation der Sozialabbauer: Es brauche Anreize, damit die Leute arbeiten gehen und die Fleissigen sollen belohnt werden. Diese Aussagen machen mich wütend. Wütend, weil suggeriert wird, dass Sozialhilfebeziehende faul sind. Wütend, weil davon ausgegangen wird, dass alle arbeitsfähig sind. Und wütend, weil Sozialhilfe zu beziehen als etwas Schlechtes angeschaut wird. Dabei sollten wir stolz auf unser System sein. Denn wenn im Leben alle Stricke reissen, gibt es noch ein letztes Auffangnetz: Die Sozialhilfe. Sie sichert die Existenz- nicht mehr und nicht weniger. Armutsbetroffene sind nicht selbst schuld an ihrer Lage. Armut ist strukturell bedingt und ein gesellschaftliches Problem. Entsprechend lässt sich Armut nicht wegsparen. Im Gegenteil: Wird die Sozialhilfe gekürzt, wird die Verarmung nur weiter zunehmen. Und diese Vorstellung macht mir Angst. Was heisst es, wenn die Budgets noch prekärer werden? Was ist die Konsequenz, wenn die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben praktisch verunmöglicht wird?

Die Forderung, Anreize für den beruflichen Wiedereinstig zu schaffen ist nicht neu. Bereits heute sieht das System solche Anreize vor. Eine weitere Verschärfung wird so nicht funktionieren. Was heisst es für uns als Gesellschaft, wenn die Politik entgegen der Erfahrung der Fachleute aus der Praxis entscheidet? Bei den Allermeisten fehlt es nicht am Willen zu arbeiten, sondern an der Möglichkeit. Je länger jemand arbeitslos ist, desto schwieriger wird es eine Stelle zu finden, ja überhaupt an ein Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Gerade in der jetzigen Zeit, in der die Konkurrenz um Arbeitsplätze steigt. Die Wirtschaft steht in der Verantwortung. Es ist an ihr, auch langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben. Auch ein Blick in die Statistik lohnt sich. Im Kanton Bern sind rund ein Drittel der Sozialhilfebeziehenden Kinder. Ein weiteres Drittel sind Menschen, die eine IV-Rente bezogen haben und dann in der Sozialhilfe landen. Im restlichen Drittel sind viele Alleinerziehende, die nicht arbeiten können, weil ihre Arbeitszeiten nicht mit der Betreuung der Kinder kompatibel sind. In Biel ist der Anteil an Kindern und Alleinerziehenden sogar noch höher. Ihnen nützt ein Anreizsystem herzlich wenig. Die Kürzungen treffen sie dafür umso mehr. Das ist verkehrt!

Über die Autorin

Lena Frank

Gemeinderätin Biel

Vize-Präsidentin Grüne Kanton Bern
ehem. Co-Präsidentin

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