Cyrill Bolliger, 05.05.2014
Im Zusammenhang mit der Zuwanderungsabstimmung am 9. Februar fiel immer wieder das Schlagwort «Dichtestress». Die Schweiz sei voll, es habe keinen Platz mehr, bereits sei das halbe Land verbaut, wenn es mit der Zuwanderung so weitergehe, gäbe es bald kein Kulturland mehr, ja sogar für die Kühe sei der Raum dann zu eng. Auch die Züge seien bereits übervoll, es vertrage nicht noch mehr Leute in unserem Land. Ein ganzes Orchester von Broschüren und Zeitungsartikeln, dirigiert von Blocher und Co., wiederholte dies immer und immer wieder. Doch mit der Abstimmung vom 9. Februar wurde weder das Dichtestressproblem gelöst, noch ist die Diskussion damit beendet. Denn bereits doppeln die Ecopop-AnhängerInnen nach: «Stopp der Überbevölkerung – Zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» so der Titel ihrer Volksinitiative, über welche demnächst abgestimmt werden soll.
Wie der 9. Februar gezeigt hat, gibt es durchaus Menschen, welche Dichtestress empfinden und offensichtlich auch daran leiden. Wider Erwarten sind das jedoch nicht mehrheitlich die Menschen, welche in Gebieten mit hoher Siedlungsdichte wohnen. Die Abstimmungsresultate haben gezeigt, die Städte mit den höchsten Bevölkerungsdichten wie Genf (12'000 Einwohner/km2), Basel (6’900 Einwohner/km2) oder Zürich (4'300 Einwohner/km2) haben allesamt die Abschottungsinitiative deutlich abgelehnt. Viele Agglomerationsdörfer hingegen brachten ihre Angst vor dem Dichtestress zum Ausdruck. Dies erstaunt auch nicht weiter, denn der Dichtestress ist in den meisten Vorortsgemeinden auch wirklich sichtbar. Fortschreitende Zersiedelung, wo vor kurzem noch die Kühe geweidet haben, sind heute lauter Einfamilienhäuser. Ein lebendiges Zentrum fehlt den Gemeinden oft, das Leben ausserhalb der eigenen vier Wände wird in der Stadt verbracht. Meist sind die Gemeinden so stark zersiedelt, dass es für viele Menschen bereits zu weit ist, um zu Fuss oder mit dem Fahrrad zum Bahnhof zu gehen. Zur Arbeit, ins Training, ins Kino, zum Einkaufen: für alles wird das Auto benötigt. Der Verkehr machen sich die Bürgerinnen und Bürger grösstenteils selbst. Die gesuchte Ruhe auf dem Land ist längst vorbei. Anonyme, gesichtslose Riesendörfer, mit dem ÖV schlecht erschlossen, voller Autos statt der gesuchten grünen Ruhe, so zeigen sich oftmals unsere Agglomerationen. Ja, das ist die «Hüslipest» und deren Folgen.
Eine geschickte Siedlungspolitik, welche den Agglomerationen ein Gesicht und ein Leben bringt, ist ein wichtiges Mittel gegen den Dichtestress. Ja die Urbanisierung der Agglomerationen bringt viele Vorteile mit sich. Städtisches Wohnen bedeutet Einkaufen in Gehdistanz, ein dichtes und engmaschiges ÖV-Netz, kürzere Arbeitswege, Schule und Kindergarten im Quartier, Quartierpark mit tollem Spielplatz, und vieles mehr.
Das verdichten gegen Innen bringt wesentliche Vorteile. Nun kann so verdichtet werden, wie in den 70er Jahren: Hochhaus neben Hochhaus, schlechte Bausubstanz und auch nicht gerade besonders schön. Oder aber, es kann zeitgemäss gebaut werden. In modernen gemeinschaftlichen Quartieren leben ca. 500 Menschen, teilen einen gemeinsamen Quartierpark und möglicherweise sogar einen Quartiergarten, sie haben Gemeinschaftsräume welche beispielsweise für ein Geburtstagsfest genutzt werden können, gemeinsame Werkstätten, damit nicht alle ihre eigene Bohrmaschine kaufen müssen, eine Quartierkantine. Hier können die Kinder Mittagessen, wenn beide Elternteile arbeiten und abends können sich die Menschen aus dem Quartier zum Bier treffen. Wird das Quartier klug geplant, so hat es auch Platz für Gewerbe, sei es ein Klempner, ein Informatikbüro oder ein Coiffeursalon. Natürlich gehören auch die Kita und das Lebensmittelgeschäft mit eingeplant. Ja sogar ein quartiereigener Lebensmittelladen mit Direktverträgen zur Landwirtschaft ist denkbar.
Dass dies alles nicht nur eine Utopie ist, zeigen verschiedene Siedlungen welche bereits solches Wohnen umsetzen, wie beispielsweise die Baugenossenschaft «mehr als wohnen» auf dem Hunziker Areal in Zürich.
Wer einmal ein solches Quartier besucht und mit den Menschen gesprochen hat, der weiss, hier verspürt niemand Dichtestress. Hier ist das «Dorfleben» noch intakt, hier fühlt man sich im Grünen und trotzdem lebt man mitten in der Stadt.
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gelernter Schreiner, Student Energie- und Umwelttechnik
Interessen: Energie, allgemeine Ressourceneffizienz, soziale Gerechtigkeit