Basil Oberholzer, 09.01.2014
Die Krise in Europa hat zahlreiche Auswirkungen auf die Schweiz. Sie sind wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Natur. Grüne Politik muss an diesen Herausforderungen ansetzen. Die Initiative gegen die Masseneinwanderung ist hingegen eine sehr schlechte Idee für die aktuellen Probleme.
Die nach 2008 ausgebrochene Krise in der Eurozone dauert nun schon mehrere Jahre an und eine wirkliche Lösung ist nicht in Sicht. Die Hauptprobleme sind grob zusammengefasst die hohen Zinsen der stark verschuldeten Staaten, die grossen Handelsungleichgewichte zwischen den einzelnen Mitglieder der Eurozone sowie die Banken, die schlecht kapitalisiert und deren Bücher voller gefährdeter Papiere sind. Für Investoren und Spekulanten wird der Euroraum dadurch unsicherer. Sie suchen für ihr Geld einen sicheren Hafen, beispielsweise den Franken.
Für die Schweiz hatte und hat diese Problemlage als erstes zur Folge, dass sehr viel Geld hereinströmt. Dadurch steigt zum einen der Preis des Frankens, der Wechselkurs gegenüber dem Euro sinkt. Dies bedeutet eine Aufwertung des Frankens. Der Druck auf die Exporteure nimmt zu, da ihre Produkte wegen des starken Frankens im Ausland weniger Absatz finden. Deshalb und vor allem aufgrund der drohenden Deflation hat die Schweizerische Nationalbank im Sommer 2011 beschlossen, für einen minimalen Wechselkurs gegenüber dem Euro zu sorgen, damit der Franken nicht zu stark wird. Sie erhöhte deshalb die Geldmenge stark und tut das weiterhin, wenn die Untergrenze gefährdet ist.
Zum anderen sinken durch den Kapitalüberfluss – aufgrund der Flucht in den Franken und der expansiven Geldpolitik der SNB – die Zinsen in der Schweiz. Je tiefer die Zinsen sind, desto mehr Kredite werden von den Unternehmen und Haushalten aufgenommen. Einen Grossteil davon, auch bei den KMU mehr als zwei Drittel, machen Hypotheken aus. Die tiefen Zinsen verleiten viele Privathaushalte dazu, ein Eigenheim zu erwerben oder neu zu bauen. Steigen die Hypothekarzinsen später an, drohen vielen von ihnen finanzielle Probleme. Bleiben sie tief, steigt die Nachfrage nach Immobilien vorerst aber stetig.
Es wird gebaut
Ein weiterer Treiber der Immobilienpreise ist die derzeit sehr grosse Zuwanderung. Zusammen mit den tiefen Zinsen heizt sie die Bautätigkeit an. Hohe Immobilienpreise lassen insgesamt trotz der tiefen Zinsen auch die Mieten steigen, was für wenig Verdienende zu einer grossen Belastung wird. Auch in einigen Regionen in der Ostschweiz ist dies bereits der Fall, z.B. in Rapperswil-Jona. Darüber hinaus besteht die Gefahr einer Immobilienblase, die ebenfalls gravierende Folgen für die Schuldner und die ganze Wirtschaft haben kann. Die Meinungen darüber, ob wir es in der Schweiz zum heutigen Zeitpunkt bereits mit einer Immobilienblase zu tun haben, gehen auseinander.
Zudem hat die gegenwärtige Entwicklung eine selbstverstärkende Dynamik (beispielsweise spricht die Credit Suisse von einem „Super-Zyklus“). Die tiefen Zinsen fördern die Kreditvergabe und den Bauboom, was die Wirtschaft wachsen lässt. Dies verstärkt die Zuwanderung, welche ihrerseits wiederum die Bautätigkeit und damit die Wirtschaft ankurbelt. Eine solche Spirale kann nicht ewig funktionieren. Die Verschuldung wird eines Tages so gross sein, dass ein Zinsanstieg nicht mehr zu bewerkstelligen ist. Ebenfalls ist unsicher, ob die reale Nachfrage nach Wohnraum mit der aktuellen Entwicklung auf dem Immobilienmarkt Schritt hält.
Am Ende steht der Siedlungsbrei
Daraus erwächst ein grosses ökologisches Problem: Der Bauboom fördert die Zersiedelung. Sie ist bekanntlich ein wichtiger oder gar der wichtigste Faktor, der Landverbrauch, Verkehrsaufkommen und Energieverbrauch anwachsen lässt. Selbst für den Fall, dass sich die wirtschaftliche Lage entspannen sollte, die riesige Liquidität in der Schweiz reduziert und weniger gebaut würde, wäre der Siedlungsbrei da und würde bleiben. Gebaut ist gebaut. Abgesehen davon haben wir es einmal mehr mit der Frage des Wachstums zu tun. Wirtschaftswachstum bedeutet in aller Regel viel zusätzliche ökologische Belastung, weil die Leute mehr konsumieren. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre ist zwar pro Kopf wesentlich schwächer als im Total, so dass sich die Umweltproblematik etwas relativiert. Andererseits bedeutet dies, dass das Wachstum umso mehr dem Bauboom und damit indirekt auch der Zersiedelung geschuldet ist. Wie lautet die Grüne Antwort?
Fremdenfeindlichkeit schützt die Umwelt nicht
Die Masseneinwanderungsinitiative der SVP täuscht nur vermeintlich eine Lösung vor. Die Beschränkung der Zuwanderung soll den Raummangel beheben und ausserdem den Einheimischen die Arbeitsplätze sichern. Dagegen gibt es vieles einzuwenden.
Erstens: Die Abschaffung der Personenfreizügigkeit und Wiedereinführung von Kontingenten garantiert keineswegs, dass die Zuwanderung effektiv abnimmt. Dies zeigt die Vergangenheit.
Zweitens: Der Siedlungsbrei wuchs bereits vor der Einführung der Personenfreizügigkeit und würde dies auch nach einer Annahme der Initiative tun, sollte die Raumplanung nach dem Willen der SVP umgesetzt werden. Der treibende Faktor der Zersiedelung ist der wachsende Flächenverbrauch pro Kopf. Hier muss insbesondere Grüne Politik ansetzen.
Drittens: Das Anliegen der SVP strotzt vor Fremdenfeindlichkeit.
Viertens: Mit der Aufhebung der Personenfreizügigkeit werden auch die von den Arbeitnehmenden erkämpften flankierenden Massnahmen hinfällig. Sie haben eine Verbesserung gerade auch für die Leute mit sehr tiefen Einkommen gebracht, die sonst kaum durchsetzbar gewesen wäre. Beispielsweise beinhalten sie die Möglichkeit, im Falle von Lohndumping branchenweite Mindestlöhne festzusetzen. So kann der Lohndrückerei entgegengewirkt werden. Fallen die flankierenden Massnahmen weg, so sind dem Dumping hingegen Tür und Tor geöffnet.
Fünftens: Sollte die Zuwanderung durch die Initiative wider Erwarten tatsächlich abnehmen und sollten die Bilateralen Verträge aufgekündigt werden, so droht eine Rezession. Das ist bei aller Wachstumskritik nicht gut. Sie erhöht den Druck auf jene, die sowieso schon zu kurz kommen und kann in den schlimmsten Fällen zu grossen gesellschaftlichen Konflikten führen, wie sie in einigen südeuropäischen Ländern drohen oder bereits teilweise Realität sind.
Das makroökonomische Umfeld bringt verschiedene Schwierigkeiten mit sich. Grüne Politik muss an vielen verschiedenen Punkten ansetzen. Unter anderem braucht es eine nachhaltige Raumplanung, die den Bedarf an Wohnfläche bremst und damit auch die Verkehrsfläche reduziert. Vor allem für die kleinen Einkommen muss bezahlbarer Wohnraum bereitgestellt werden. Dies kann durch die Förderung von Genossenschaften oder die Verstärkung des öffentlichen sozialen Wohnungsbaus geschehen. Und zusätzlich braucht es Massnahmen zum Schutz der Arbeitnehmenden, damit die Personenfreizügigkeit kein Lohndumping verursacht. Zu guter Letzt dürfen wir die Kritik am endlosen Wachstum nicht vergessen. Wir müssen über Wege nachdenken, wie wir den Wachstumszwang der Wirtschaft mindern können.
Basil Oberholzer, Co-Präsident Junge Grüne Kanton St.Gallen
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Ausbildung: Dr. rer. pol. Ökonom
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